Otto Murmel, Clara und die wilde Dreizehn[1] - Sportklettern in den Dolomiten

von Ute Fissabre

 

In der ersten Septemberwoche schätzten wir uns glücklich, trotz Corona endlich in unsere lang ersehnte Dolomitenwoche nach St. Kassian aufbrechen zu können. Wir waren neben der 5jährigen Emma 12 Kletterer und Kletterinnen aus allen Alterskategorien und wir planten unter der fachkundigen Aufsicht unseres Organisators Sergej, die Klettergärten der Dolomiten rund um die Cinque Torri, den Hexenstein und den Lagazuoi zu erkunden.  Einige von uns waren schon öfter zum Klettern hier gewesen, für andere war die Gegend Neuland. Leider empfing uns St. Kassian bei der Ankunft erst einmal mit Regen, so dass wir zunächst eine Regen-Wanderung von der Capanna Alpina zum Valparola Pass unternahmen. Einige von uns, die das erste Mal in der Gegend waren, ließen es sich nicht nehmen, noch den Hexenstein zu Fuß zu erklimmen. Beeindruckend war, wieviel Wasser die Bäche an diesem Tag aufnahmen und wie laut das Wasser um uns herum toste. Am nächsten Tag war es dann so weit: das Wetter ließ zu, dass wir die Cinque Torri per Sessellift erreichten und die ersten Sportkletterrouten in Angriff nahmen. Die Cinque Torri befinden sich zwischen dem Falzaregopass und Cortina d'Ampezzo. Es sind im Wesentlichen fünf steile Türme, die durch zahlreiche Routen ab dem III. Schwierigkeitsgrad erschlossen sind. Daneben gibt es gut abgesicherte  Sportkletterrouten von 4. bis zum 7. Grad. Einige von uns kletterten die gut abgesicherten Routen am Torre Latina, während andere den Quarta bassa, einen der 5 Türme, in zwei Seillängen erklimmen wollten. Leider machte uns das Wetter wieder einen Strich durch die Rechnung; Reiner und ich brachen unser Vorhaben ab, auf den Quarta alta zu steigen und begannen den Abseilakt vom gut gebohrten Haken mitten im Fels bei zunehmendem Graupelschauer. Dass Reiner den Schnee-Graupel zunächst für kleine Steinchen hielt, die angeblich die Seilschaft über uns losgetreten hätte, wurde dann zum Joke des Tages.

Die nächsten 2 Tage wechselten sich Sonne und Wolken ab, so dass wir noch einen schönen Klettertag an den 5 Türmen hatten, wo sich die „Neuen“ Birgit, Natascha, Paul und Aurelie an den 4er und 5er Routen, die teilweise schon recht abgespeckt waren, austobten. Die Alpin Erfahrenen machten eine Tour auf den Quarta Alta bzw. die 6 Seillängen hinauf zum Torre Lusy.  Hier hatte man jeweils einen tollen Ausblick über die umliegenden Berge wie den Lagazuoi, den großen und kleinen Falzarego bis hin zur schneebedeckten Marmolada. Am nächsten Tag konnte man den Schnee live erleben - es war über Nacht deutlich kälter geworden - und auf dem 2835m hohen Lagazuoi lag neuer Schnee. Die meisten aus der Gruppe wanderten über den Kaiserjäger-Steig, einen leichten Klettersteig, unter der Führung von Franz-Peter hinauf auf den Gipfel. Von dort gings über die idyllische Scotonihütte wieder 1000 hm hinab bis zur Capanna Alpina. Da blieb es nicht aus, dass man auf der Scotonihütte die dort lebendenden Lamas streichelte und natürlich den Bierdurst löschen musste.

Donnerstags wurde es endlich wärmer und stabiler. So macht das Klettern erst richtig Spaß!  Endlich konnten die „Jungs“ (Sergej, Franz-Peter, Dirk und Reiner) ihre lang ersehnte alpine Tour Col de Bois- Alpini Kante machen.  Wir Übrigen suchten uns einen leichten Klettersteig aus. Vor allem wir Frauen wollten es mal richtig schön haben, etwas fürs Auge und die Sinne und mit mäßiger Anstrengung.  Bei Kaiserwetter fuhren Sebastian, Aurelie, Birgit, Eva, Natascha, Paul und ich über Cortina d’Ampezzo zum Sentiero de Canyons e delle cascate Fanes.  Für die mit angeblich im Klettersteigführer als dreistündigen Klettersteig ausgeschriebene Tour brauchten wir dann doch eher knapp 6 Stunden, aber wir hatten einen traumhaften Tag und wanderten an Stahlseilen gesichert zweimal hinter einem Wasserfall hindurch. Die beeindruckende Mischung aus Wanderweg und Klettersteig sowie hohen Felsen hinter uns und Wasserfällen vor uns entschädigte uns vollkommen für den langen Weg. Als Belohnung gab es in Cortina noch ein Eis, was uns die Spatzen beinahe aus der Hand weggefressen hätten. Auch die „Jungs“ waren am Ende des Tages zufrieden mit ihrer Tour und diskutierten am Abend noch über die Standplätze, Redundanzen und die Notwendigkeit von Essenspausen vor dem langwierigen Abstieg vom Fels.

Der letzte offizielle Tag rückte heran. Erneut wandten wir uns den unerschöpflichen Cinque Torri zu. Nach dem Einklettern an den bekannten Sportkletterrouten nahmen uns die Alpin-Erfahrenen noch einmal mit auf die verschiedenen Türme. So kletterten Birgit und Aurelie hinter Franz-Peter den Quarta bassa hinauf und erprobten sich im Abseilen ins Freie. Franz-Peter nahm auch Paul mit auf den Torre Inglese, einen kleineren, aber in der ersten Seillänge schon ziemlich abgespeckten Turm. Sergej nahm Sebastian ins Schlepptau und stieg mit ihm auf den Torre Alta. Besonders das Abseilen durch den recht schmalen Schlitz zwischen Quarta Alta und Quarta Bassa ist ein besonderer Spaß, da man nie ganz sicher weiß, ob man auch hindurch passt. Ich stieg die zweite Seillänge vom Quarta Bassa erstmals vor und genoss das Gefühl, endlich auch mal „Nachkommen!“ rufen zu dürfen. Dirk nahm Eva mit auf den Torre Latina und die Beiden durchstiegen den Kamin in der zweiten Seillänge. So hatten von uns alpin eher Unerfahrenen doch alle an diesem Tag ihre Herausforderung und waren unseren „Scoiattolis“, den sog. Eichhörnchen, dankbar, dass sie uns führten.

Aufgrund des schönen Wetters blieben 6 von uns noch einen Tag länger und wir danken dem Hotel Jasmin, dass sie uns das und auch manch andere Sonderwünsche möglich gemacht haben.  Sergej, Reiner, Sebastian und ich wanderten zu den Sportkletterouten am Lagazuoi. Sebastian übertraf sich selbst und kletterte alles nach, was Sergej ihm vormachte. Er wurde damit als „Scoiattolino“ in den Club der Eichhörnchen aufgenommen. Nachdem wir eine 2er Seilschaft von einem 70jährigen Ehepaar bewunderten, in der die Frau alle Routen auf unserer Seite vorstieg, wurde auch in mir der Ehrgeiz geweckt und ich stieg eine Route 5b fast bis zum Ende vor. Solche Vorbilder brauchen wir öfter. Alles in allem eine tolle Woche und trotz des etwas unsteten Wetters haben wir wunderschöne Eindrücke einer grandiosen Landschaft und viele Erfolgserlebnisse mitgenommen.

 

[1] Unsere jüngste Mitfahrerin Emma begeisterte uns mit zwei Stoffmurmeltieren: „Otto Murmel“ und sein Kind „Clara“